Es ist noch früh am Morgen. Die beiden Frauen sitzen im Zug und reden. Sorgfältig, langsam und leise. Die Worte sind gewählt, die Stimmen gedämpft, die Gedanken scheinen schön und wichtig. Mit anderen Worten, es tönt so aufgesetzt empfindsam wie eine Moderation auf DRS 2. Dann schaut die eine der beiden unvermittelt auf ihr Smartphone und lächelt still in sich hinein: ihr Partner wünscht ihr einen schönen Tag. Ist das nicht schampar schön?
»Es sind doch immer wieder die kleinen Dinge des Lebens, die so viel ausmachen, nicht wahr?«, sagt sie und strahlt, ganz stolz auf ihre belanglose Glückskeksweisheit, ihr Gegenüber an. »Ja diese Nähe, die ihr zwei habt, das ist schon, also wie soll ich sagen, wirklich ein wunderbares und kostbares Geschenk«, sagt darauf die Angesprochene mit einer Mischung aus Bewunderung und Selbstmitleid. »Bei mir hat es nie länger als ein paar Monate gehalten«, erzählt sie unnötigerweise weiter. Sie hätte es nicht erwähnen müssen, man sieht es ja auf den ersten Blick: So schaut man jedenfalls nicht aus, wenn man vom Leben in den Arm genommen wird. – »Du weisst nie«, entgegnet der Glückskeks, »was das Schicksal für dich noch bereit hält«, und ahnt natürlich, dass es für ihr farb- und freudloses Visavis längst gelaufen ist. Trotzdem doppelt sie noch nach: »Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Es ist nie zu spät. Auch für dich gibt es da draussen jemanden. Ja, ganz sicher! Jemand, der auf dich wartet!« Sie bringt das ganze Programm, schonungslos, zieht alle Register, bemüht sämtliche Floskeln und Durchhalteparolen. Dabei strahlt sie und schaut immer wieder auf die Message auf ihrem Smartphone. Wie um sich ihres Glücks zu versichern. Ja, sie hat da draussen jemanden. Jemand, der ihr einen guten Tag wünscht und der ihre naive Art irgendwie auszuhalten scheint. Ich weiss nicht, welche der beiden Frauen ich mehr bedauern soll. Aber sich verzweifelt ans Glück zu klammern ist letzlich vielleicht fast noch tragischer, als vom Pech verfolgt zu werden.