Ein schöner Abend
»Ich möchte doch nur einen schönen Abend haben«, sagt die Frau im Ristorante am Nebentisch leise zu ihrer Begleitung. Es ist eine Bitte, aber es tönt wie eine Entschuldigung.
Was immer es auch ist, ihre Chancen auf einen schönen Abend stehen denkbar schlecht, denn Priorität des Mannes liegt gerade ganz woanders. Sein Secondo, die Tagliata vom Rind »was not good« und die Reaktion auf seine Reklamation war seiner Ansicht nach sogar noch schlechter als das Fleisch. Und so was lässt er natürlich nicht durchgehen, selbst in einer Provinz-Osteria in Italien nicht. Das versucht er jetzt der jungen Bedienung zu erklären. »You know, no solution, no solution!«, wiederholt der verbale Ego-Shooter mit dem beschränkten englischen Wortschatz ziemlich energisch. Er kann nicht italienisch und das Mädchen kann kaum englisch. Schliesslich bietet sie ihm mit einem professionellen Lächeln an, die Tagliata einfach nochmals zu bringen: »Another one?« Nein, sicher nicht, das ist für ihn keine Lösung. No, no, no! Die Tagliolini mit Trüffeln will er stattdessen probieren. Gar nicht so dumm, schliesslich sind wir im Piemont und es ist Oktober. »Weisst du, wir Schweizer sind halt eher ...«, nimmt die stille Frau einen neuen, kurzen Anlauf, kommt aber nicht weit, schon fällt er ihr ins Wort und erklärt ihr, einmal mehr, in bester Männermanier, wie die Welt funktioniert. Laut, ausführlich und detailliert. »Ja, ja, ihr Schweizer, weisst du, das sage ich ja immer, das ist eben genau euer Problem ...«, lacht der Deutsche. Nein, nein, so nicht, wäre ja gelacht, nicht mit ihm jedenfalls. Schliesslich kommt seine Pasta samt schnittigem Souschef, Waage und Trüffelraffel. So muss es sein, jetzt ist die Welt wieder in Ordnung, jedenfalls für ihn. »Na also, geht ja!«, strahlt er. Man muss sich nur breit und wichtig machen. So sehen Sieger aus. Die Frau sitzt da, sagt nichts, schaut zu und manchmal weg und weiss inzwischen längst, dass das mit dem schönen Abend gelaufen und der Typ nicht der Fang des Tages ist. Eigentlich möchte sie schon lange gehen. Egal wohin, egal mit wem. Einfach weg. Und zwar weit. Er aber denkt nicht im Traum daran. Die Flasche Nebbiolo ist inzwischen leer, also warum nicht noch einen anderen Roten. Bekommt er natürlich umgehend vom Chef persönlich und grosszügig eingeschenkt und ist – was für eine Überraschung – auch damit nicht wirklich happy. Macht diesmal aber wenigstens keinen grossen Zirkus und lässt es mit einem »not so good as the other one« bewenden. Dann ein Espresso, weil man das ja so macht in Italien und dann noch den zweiten, den er eigentlich für sie bestellt hat, den sie aber gar nicht wollte. Sie nimmt schon länger nichts mehr und sagt auch kaum noch was. Muss auch nicht und kann gar nicht, denn der Mann redet inzwischen pausenlos ohne Punkt und Komma. »Ja weisst du, die Renate, sie war mal eine Traumfrau, jetzt mit fünfzig natürlich nicht mehr, logisch, aber sie macht es wirklich verdammt gut und Jürgen mit seinem Haus, das hat er sich natürlich auch anders vorgestellt und die Kinder und das Business und das Finanzielle und die Erziehung und Italien und dies und das und überhaupt.« Und das alles am Nebentisch. Ziemlich nah und auch ziemlich laut. Wir hoffen, dass bald Schluss ist mit diesem monotonen Monolog. Ist es aber nicht. Denn nach den beiden Kaffees bestellt er nicht etwa die Rechnung, sondern noch ein grosses Bier. Die Frau seufzt und winkt ab, ist sowieso am Ende und schon fast durchsichtig, sitzt da am Tisch, sich selber fremd und in der Falle. – Wir sind froh, dass wir, im Gegensatz zu ihr, einfach aufstehen und gehen können. Das machen wir jetzt auch. Ohne Espressi und Dolce. Irgendwann hat man einfach genug.
